Das Raumwunder setzte auf klare Kanten und ist heute fast vergessen
Klare Kante: So lautete die Devise für die neuen VW-Modelle ab dem Passat von 1973. Und zwar nicht nur bei den Pkw, sondern auch den Nutzfahrzeugen. Bestes Beispiel ist der erste LT. Er wurde vor 50 Jahren präsentiert.
Volkswagen und Transporter: Diese beiden Begriffe sind seit dem Verkaufsstart des Bulli 1950 fest miteinander verbunden. Da der Bulli aber nicht für die ganz großen Lasten vorgesehen war, entwickelte man bei Volkswagen ein Modell unterhalb der schweren Lkw, aber oberhalb des VW Bus zur Ergänzung des Angebotsprogramms: ein Lastentransporter im Segment von 2,8 bis 3,5 Tonnen.
Beim Namen blieben die Niedersachsen kühl und sachlich. So wurde aus dem Lasten-Transporter schlicht der Modellname: LT. Im Anhang fand man die Bezeichnungen 28, 31 und 35 für das zulässige Gesamtgewicht von 2,8, 3,1 bzw. 3,5 Tonnen.
Wie schon beim Transporter hörte Volkswagen auch beim LT auf die Wünsche der Kunden, und so gab es den LT gleich zu Beginn in zwei Radständen und zwei Dachvarianten. Lieferbar war das Raumwunder als Kastenwagen, Kombi, Bus, Pritsche, Doppelkabine und als Fahrgestell mit Fahrerhaus.
Im Vorfeld der Entwicklung wurde festgelegt, dass das Verhältnis von der Verkehrs- zur Nutzfläche nochmals besser sein sollte als beim Transporter mit Heckmotor. Dazu konzipierten die Ingenieure von Volkswagen ein Fahrzeug mit der platzsparenden Frontlenker-Bauweise des Transporters und einem Frontmotor, der zwischen Fahrer und Beifahrersitz oberhalb der Vorderachse platziert wurde. Der Antrieb erfolgte weiterhin über die Hinterachse.
Ohne den Motor im Heck stand somit der gesamte Laderaum für die Nutzung zur Verfügung. Und doch blieb der LT kompakt: Im Vergleich zum T2 Bulli wuchs der LT nur um 34 cm in der Länge und 30 cm in der Breite. Er bot aber aufgrund des neuen Raumkonzeptes mit 7,85 Kubikmeter Laderaum über 50 Prozent mehr Ladevolumen.
Stolz war man bei Volkswagen auch auf die, bis dahin bei Nutzfahrzeugen eher vernachlässigte, Ergonomie. Mit Hilfe von Arbeitswissenschaftlern wurde das Fahrerhaus entwickelt. Dank dieser Kooperation wurden zum Beispiel die Bedienelemente nah am Fahrer angeordnet und eine große Frontscheibe sowie extra große Außenspiegel installiert.
Für ein Plus an Fahrkomfort sorgte unter anderem eine Einzelradaufhängung an der Vorderachse, wie sie auch noch viele weitere Jahre nach der Einführung des LT noch nicht Standard in dem Segment war. Zu Beginn gab es den Volkswagen wahlweise mit einem 2,0- Liter-Vierzylinder-Benziner aus dem Audi 100 (auf 55 kW/75 PS gedrosselt und an den Betrieb in einem Nutzfahrzeug angepasst) oder einem 2,7-Liter-Diesel vom englischen Hersteller Perkins mit 48 kW (65 PS).
Volkswagen ersetzte ihn 1979 durch den ersten eigenen Sechszylinder-Dieselmotor. Der neue 2,4-Liter-Motor leistete im LT zwar nur acht PS mehr als sein Vorgänger, entwickelte aber deutlich mehr Drehmoment und lief (nach damaligen Maßstäben) äußerst sanft - so ruhig, dass sogar Volvo diesen Motor in ihren ersten Sechszylinder-Pkw einbaute.
Wie auch der Bulli erhielt der LT über die Jahre zahlreiche Modellpflegen. Hier ein Auszug:
Sechszylinder Turbodiesel mit 75 kW (102 PS). Damit war der LT zum stärksten Transporter Europas herangewachsen, Sechszylinder als Benziner mit 66 kW (90 PS). Optimierte Einbaulage des Motors bringt Platz für einen dritten Sitz im Fahrerhaus. Neu gestaltetes Armaturenbrett. Radstand für Pritschen bis 4,6 Metern Länge lieferbar
LT 55 mit 5,6 Tonnen Gesamtgewicht, LT 35 auf Wunsch mit einer Hinterachse mit Einzelbereifung
zuschaltbarer Allradantrieb 4x4, Facelift u.a. mit rechteckigen statt bisher kreisrunden Scheinwerfer.
Facelift mit neuem Kühlergrill und Kunststoff-Elementen im Bereich der Rücklichter. Überarbeiteter Turbodiesel mit Ladeluftkühler und 70 kW (95 PS). Aufgrund seiner Qualität und Zuverlässigkeit, gepaart mit der großen Nutzfläche bei kompakten Abmessungen, wurde der LT auch schnell zu einer beliebten Basis für Reisemobile.
Noch heute ist davon eine Vielzahl auf den Straßen der Welt unterwegs. So wunderte es 1988 auch niemanden, dass Volkswagen neben dem kompakten California auf Basis der dritten Generation (T3) des Bulli auch ein Reisemobil auf Basis des LT präsentierte: Mit dem Florida bot Volkswagen ein vollwertiges Reisemobil für vier Personen mit Nasszelle an.
Nach 21 Jahren und über 470.000 produzierten LT war 1996 aber die Zeit reif für einen Nachfolger. Wie schon beim Wechsel vom T3 zum T4 wurde auch der Wechsel vom LT1 zum LT2 ein Wechsel in ein moderneres Zeitalter.
Der LT2 war das erste neue Fahrzeug, das von der 1995 neu gegründeten Marke Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN) mit Sitz in Hannover vorgestellt wurde. Die Entwicklung dieser und der nachfolgenden Baureihe erfolgte in Kooperation mit Mercedes, der LT war Bruder des neuen Sprinter.
Die Dieselmotoren wurden nun längs unter einer kurzen Motorhaube eingebaut. Der Einstieg erfolgte deutlich niedriger und es gab die Möglichkeit zwischen den Vordersitzen bequem nach hinten in den Lade- bzw. Fahrgastraum zu gelangen.
Das Erfolgsrezept von Volkswagen, den Kunden ein breites Angebotsprogramm zu offerieren, wurde auch beim LT2 beibehalten. So gab es weiterhin Kastenwagen, Kombi, Bus, Pritsche, Doppelkabine und Fahrgestell mit drei Radständen und einem zulässigen Gesamtgewicht zwischen 2,6 und 4,6 Tonnen.
Ein weiterer Vorteil waren die beliebten TDI-Motoren: Sparsam, leistungsstark und zuverlässig waren sie auch im LT2 erste Wahl. 2002 machte VWN den LT2 mit einem neuen 2,8-Liter-Vierzylinder-Diesel zum Express-Fahrzeug. Der Motor hatte 116 kW (158 PS) und bot ein maximales Drehmoment von 331 Nm. Das waren Rekordwerte in dem Segment.
Die Fertigung im Werk Stöcken endete 2006 nach fast 340.000 Fahrzeugen. Basierend auf dem Grundkonzept des Vorgängers kam 2006 der Crafter auf den Markt, zunächst erneut mit dem Sprinter verwandt.
Die bis dahin spektakulärste Variante war sicher der 2012 präsentierte Crafter 4MOTION mit Achleitner Allradantrieb. In der Vollausstattung war das Fahrzeug mit bis zu drei Sperren ausgestattet, höhergelegt und hatte Offroad-Reifen sowie einen kompletten Unterfahrschutz. Seine Qualitäten durfte der Crafter 4MOTION bei der Rallye Dakar 2012 als Begleitfahrzeug gleich erfolgreich unter Beweis stellen.
Zehn Jahre lang wurde der Crafter wieder in den unterschiedlichsten Varianten (Kasten, Kombi, Bus, Pritsche, Doppelkabine und Fahrgestell) produziert. Über 480.000 verkaufte Einheiten sprechen für den Erfolg auch dieser dritten Generation.
2016 präsentierte Volkswagen Nutzfahrzeuge erstmals den Crafter der zweiten Generation. Er ist ein von Grund auf und wieder in Eigenregie entwickeltes Fahrzeug, für das sogar ein eigenes neues Werk im polnischen Września gebaut wurde. Bis Ende 2024 wurden vom neuen Crafter bereits fast 500.000 Einheiten produziert.