Ein fetter V8 und unfassbare Offroad-Skills sind krass, der Preis ist aber noch krasser
Mal ehrlich: Die Autos, mit denen man sich als Autoredakteur heutzutage beschäftigt, sind zu einem hohen Prozentsatz steckerhybridisierte SUVs. Natürlich kann man sich mit ein wenig Mühe auch da in eine gewisse Fahrfreude hineinsteigern.
Aber dann gibt es da immer wieder ein paar Highlights, bei denen einem wieder ins Gedächtnis gerufen wird, was Fahrfreude tatsächlich bedeutet. Der Defender Octa ist so ein Fall. Politisch völlig inkorrekt, total unvernünftig und trotzdem - oder gerade deshalb - kann man sich seiner Faszination nicht entziehen.
Nun ist es ja nicht gerade so, als dass der normale Defender an mangelndem Selbstbewusstsein leiden würde. Mit seiner kantigen Statur und seinem extrem bulligen Auftreten zeigt er seit 2020 in einer erneuerten, aber dennoch an die glorreiche Vergangenheit anknüpfenden Form. Nun schiebt der britische Hersteller mit dem Octa ein Top-Modell der Baureihe vor, das alles bisher Dagewesene in den tiefen Schatten stellt.
Dabei soll der Octa nicht nur als stärkster Defender aller Zeiten mit dynamischer Höchstleistung glänzen, sondern auch die ohnehin grandiosen Fähigkeiten im Gelände auf ein nicht vorstellbares Niveau heben. Große Versprechungen, denen wir auf dem Testgelände Les Comes in Spanien auf den Grund gegangen sind. "Octa" deutet übrigens nicht etwa auf die acht Zylinder des Motors hin, sondern soll auf die Oktaederform eines Diamanten hinweisen. Härte trägt er also schon im Namen.
Exterieur | Interieur | Motor | Fahrverhalten | Preis/Konkurrenten | Fazit
Auch wenn es noch so im Gasfuß kribbelt: Zunächst ein kurzer Rundgang um den neuen Land Rover. Und auch der lohnt sich, denn bei Defender (mittlerweile eine eigene Marke und nicht mehr nur eine Modellreihe) modifizierte man die Karosserie umfassend. Ins Auge fallen vor allem die aggressiven Stoßfänger, die darüber hinaus zusammen mit der erhöhten Bodenfreiheit auch einen größeren Böschungswinkel erlauben.
Die ohnehin weit ausgestellten Radkästen wurden durch zusätzliche Verbreiterungen nochmals betont, auch um die breite Spur und die extrem großen Räder abzudecken. Am Heck zeigen sich zudem die beiden Doppelrohre der Sportauspuffanlage. Freiliegende Abschleppösen betonen den robusten Look. Das alles sorgt für einen denkwürdigen Auftritt, für den der Fahrer durchaus ein gesundes Selbstbewusstsein mitbringen sollte.
Dafür sorgen schon die bloßen Abmessungen. Über fünf Meter Länge (natürlich inklusive des kultigen Reserverades an der Hecktür), über zwei Meter Breite und knapp zwei Meter Höhe sind schon eine Ansage. Auch die 3,02 Meter Radstand sind optisch sehr beeindruckend.
Auch im Innenraum war schon der normale Defender ein Statement in Sachen Robustheit. Alleine die offen liegenden, geradezu inszenierten Torxschrauben an den Verkleidungen setzen klare Signale, dass hier eher eine Arbeitsatmosphäre und keine Wohlfühloase auf die Passagiere wartet.
Trotzdem gönnt sich der Octa auch eine gar nicht so kleine Prise Luxus. Vor allem die neu entwickelten Performance-Sitze, die auf den für dieses Auto irgendwie unpassenden Namen Body and Soul getauft wurden, überzeugen mit ihren vielfältigen Einstellungsmöglichkeiten, ihrem starken Seitenhalt und einer unglaublich bequemen Sitzposition.
Zudem sind sie laut Defender "in enger Zusammenarbeit mit führenden Musikexperten" entwickelt und "ermöglichen ein mehrdimensionales Audioerlebnis". Aha. Und weiter spricht die Pressemappe: "Es können sechs verschiedene Wellness-Programme zur Förderung des Wohlbefindens aktiviert werden." Wir mussten kurz checken, ob wir versehentlich die Pressemappe eines Maybach geöffnet hatten … In diesem Auto wirkt das alles so ziemlich fehl am Platze, sorry. Hier spürt man, dass der Octa wirklich ALLES können soll, ohne Rücksicht auf Verluste. Wellness in der Wildnis quasi.
Nichts zu meckern gibt es beim Infotainment. Mit dem Pivi-Pro-Multimediasystem und der 12,3 Zoll großen digitalen Instrumententafel verfügt der Octa über das gleiche Equipment wie die großen Range Rover, das sich recht umständlich bedienen lässt, alleine aufgrund der riesigen Funktionsfülle. Glücklicherweise sind viele Fahrfunktionen noch auf große, haptische Kunststofftasten ausgelagert, sehr wichtig im harten Geländeeinsatz.
Ebenso sinnvoll sind die neu entwickelten, optionalen Sitzbezüge aus Ultrafabrics, die äußerst strapazierfähig und überdies noch 30 Prozent leichter als Leder sind. Das macht bei mehr als 2,5 Tonnen Leergewicht ganz sicher den entscheidenden Unterschied ...
Jetzt geht es ans Eingemachte! Die Freunde der simplen Fortbewegung, Verbrauchsfanatiker und alle anderen vernunftbegabten Verkehrsteilnehmer scrollen bitte schnell weiter, denn das hier wird wehtun!
Wenn Sie immer noch da sind, hier zunächst die nackten Zahlen: 4,4 Liter V8-Biturbo, 635 PS, 750 Nm! Der Vollständigkeit halber sei noch seine milde Hybridisierung erwähnt, diese spielt aber eigentlich keine Rolle.
Eine umso größere Rolle spielt die ansatzlose Bissigkeit, mit der diese Maschine (selten traf dieser Ausdruck besser zu) den schweren und kantigen Defender wegbeamt, als wäre er ein Supersportler. Null auf Hundert in vier Sekunden, Topspeed 250 km/h, noch Fragen? Dabei klingt das Triebwerk im Dynamikmodus zunächst bollernd brabbelnd, um dann bei Volllast in höheren Drehzahlen wie ein Nascar-Motor zu trompeten. Achtung: Suchtpotenzial. Ich sagte ja, das wird wehtun.
Schmerzhaft könnte auch der Blick auf die Verbrauchswerte sein, wäre man als Octa-Besitzer angesichts des immensen Fahrzeugpreises nicht sowieso massiv abgehärtet. Schon beim lockeren Cruisen über spanische Landstraßen ging der Wert kaum unter 14 l/100 km. Wie das Ganze angesichts der Leistung und der kantigen Karosserie auf der Autobahn aussieht, kann man nur erahnen. Der WLTP-Verbrauch liegt schon bei mehr als 13 l/100 km.
Dem ganzen Wahnsinn nun ein brauchbares Fahrverhalten anzutrainieren, ist angesichts der Voraussetzungen eine große Kunst. Und Defender geht sogar noch weiter und verspricht eine grandiose Performance auf der Straße UND im Gelände. Klingt nach der Quadratur des Kreises. Dafür trieb man einen gewaltigen Aufwand.
Alle Radaufhängungen wurden nicht etwa modifiziert, sondern komplett neu entwickelt, um den unglaublichen Kräften Herr zu werden. Das "6D Dynamics"-Fahrwerk verfügt über hydraulisch miteinander verbundene Dämpfer, die elektronisch gesteuert werden. Die Bodenhöhe ist je nach Einsatzzweck wählbar. Klingt alles ganz nett, aber was dieses Fahrwerk tatsächlich zu leisten imstande ist, macht sprachlos.
Schon auf der Straße fällt sofort auf, wie komfortabel der Defender auch im Dynamic-Modus ist. Die Dämpfer sprechen selbst auf Verkehrsschwellen sauber und geschmeidig an und sind nicht etwa knochenhart. Hier spielt die semi-aktive hydraulische Regelung ihre Karten voll aus. In Kurven allerdings wird das Ganze spürbar gestrafft, um trotz des immensen Gewichts und des hohen Schwerpunktes übermäßige Seitenneigung zu verhindern. Gelingt aus physikalischen Gründen natürlich nur bedingt, ermöglicht aber trotzdem erstaunliche Kurvengeschwindigkeiten.
Dazu spielt die Lenkung eine herausragende Rolle, denn sie ist nicht zu schwergängig, bietet aber trotzdem eine für diese Fahrzeuggattung extrem gute Rückmeldung und Präzision. Das erstaunt umso mehr, als dass unsere Testwagen allesamt mit den extra entwickelten, grob profilierten Geländereifen ausgestattet waren. Für das Fahrverhalten auf der Straße brachten die Reifen sogar den Vorteil, dass man selbst bei geringeren Geschwindigkeiten mit einem Gasstoß am Kurvenausgang schön Bewegung in das System bringen kann, was aber herrlich kontrollierbar bleibt. Erwähnte ich schon das Suchtpotenzial?
Mit den optional erhältlichen Straßenreifen wäre man zwar deutlich schneller, aber sicher nicht ganz so unterhaltsam unterwegs. Und sein wir mal ehrlich: Kurvenräubern auf Höchstniveau ist jetzt eh nicht unbedingt die Kernkompetenz eines solchen Ungetüms. Der Defender ist kein Skalpell, mit dem man durch die Kurven schneidet. Eher so die große Heckenschere, die dafür aber extra scharf geschliffen.
Diese speziellen Allterrain-Reifen hatten unsere Octa nicht von ungefähr drauf. Nach der Asphaltrunde stand nämlich eine ausführliche Erkundung der weit über 70 Kilometer Offroadpassagen des beeindruckenden Testgeländes auf dem Plan. Gleich vorweg: Für uns standen nur die "schwarzen Routen" auf der Liste, also das schwerste Gelände, was man sich vorstellen kann.
Um es kurz zu machen: Es gibt nichts, was sich dem Defender Octa ernsthaft in den Weg stellen könnte, mit Ausnahme meterhoher Mauern vielleicht. Im speziellen Octa-Mode ermöglicht das neue Fahrwerk Achsverschränkungen, die kaum zu glauben sind. Oft dachte ich beim Anblick der riesigen Felsblöcke vor mir "Das wird gleich wehtun!", um dann beim Überfahren nur ein leichtes Schaukeln zu spüren. Auch Steigungen oder Gefälle weit jenseits der 30 Grad beeindrucken den Defender überhaupt nicht.
Vor allem aber die Kletterfähigkeit über extrem felsiges Gelände mit riesigen Blöcken ist erstaunlich. In der höchsten Einstellung beträgt die Bodenfreiheit mehr als 32 Zentimeter. Wir hatten auf der gesamten Tour nicht einmal Bodenkontakt, auch wenn es öfter stark danach aussah. Und selbst wenn, hätten die massiven Platten den Unterboden sicher geschützt.
Nachteil: In diesem Modus glich das Einsteigen einer extremen Kletterübung, der offenbar nicht alle Kollegen vor Ort auf Anhieb gewachsen waren. Nach einem kurzen Fotostopp im harten Gelände hatte der Kollege im Auto vor uns doch erhebliche Mühe, wieder in seinen Defender zu kommen …
Zum Schluss hatten wir noch die exklusive Gelegenheit, dem Octa auf ein paar Rallye-Sonderprüfungen richtig die Sporen zu geben. Schließlich will die britische Marke ab dem nächsten Jahr bei der berühmtesten Wüstenrallye - der Dakar - teilnehmen. Und der Octa zeigt auch hier, dass er absolut bereit für die Herausforderung ist.
Selbst bei höchstem Einsatz inklusive heftiger Sprungkuppe blieb das Auto dermaßen gelassen, dass es wohl einen echten Rallyeprofi braucht, um das Ding mal an die Grenzen zu bringen. Grenzenlos war hingegen der Fahrspaß des Redakteurs bei der Aktion …
Dass dieses - zugegebenermaßen sehr große - Vergnügen nicht billig sein würde, dürfte jedem klar sein. Alleine die Unterhaltskosten treiben sicher jeden Haushaltsvorstand in den Wahnsinn. Wobei dieser ja vorher bereits den ebenso wahnsinnigen Anschaffungspreis von mindestens 185.300 Euro abgenickt haben muss und daher bei Großausgaben eher schmerzfrei sein sollte. Zum Modellstart gibt es zudem die exklusive "Edition One" mit einigen Highlight für happige 206.600 Euro. Sondervermögen schadet also nicht.
In Sachen Konkurrenz gibt es da natürlich eine andere Legende: Den Mercedes-AMG G63. Ähnlich reiche Historie, ähnliche technische Anlagen, ähnlich krasse Performance auf Asphalt und im Gelände und auch eine ähnlich unverschämte Preispolitik: Ab 191.233 Euro gehts hier los. Der Jeep Grand Cherokee Track Hawk hatte sogar 710 PS, wird aber leider nicht mehr angeboten.
Den extrem kultigen Jeep Wrangler 392 mit dickem V8 und ebenfalls krasser Geländeperformance muss man sich bei freien Importeuren holen, wo er ab 140.000 Euro gehandelt wird. Ebendort gibt es auch den Ford F-150 Raptor, der ab 143.000 Euro zu haben ist. Zwar ein Pick-up, aber mit viel Platz, Rallyefahrwerk und 456-PS-V8 für die gleiche Zielgruppe gedacht. Dieses Auto ist bei uns gerade im Test.
Ein nüchternes Fazit zu ziehen, fällt hier besonders schwer, weil man sich als Carguy nicht vollständig der Anziehungskraft dieses Boliden entziehen kann. Wenn man nur die Zielsetzung dieses Autos betrachtet, muss man eigentlich 100 Punkte geben, weil besser kann man solch ein Performance-Monster nicht bauen.
Wie der Defender Octa Höchstleistungen auf Asphalt, maximale Geländegängigkeit und extrem hohen Komfort vereint, ist einzigartig. Eine Allzweckwaffe, die allerdings ihren Preis hat. Nicht nur Anschaffung und laufende Kosten sind exorbitant, sondern auch gesellschaftlich setzt man mit solch einem Auto ein Statement, das man wirklich wollen muss.