Mit vielen Detailverbesserungen möchte man den Spagat aus Alltag und Fahrspaß noch besser hinbekommen
Eigentlich hätte der Kia EV6 GT zumindest äußerlich gar keine Auffrischung benötigt, denn der flache Flitzer sieht auch drei Jahre nach Marktstart noch ziemlich aufregend und anders aus. Das dieses Design ankommt, zeigt nicht zuletzt der begehrte Titel "Best oft the Best" des Red Dot Design Awards.
Da aber der zivile EV6 in den Genuss einer Modellpflege kam, zog Kia natürlich auch beim Top-Modell nach. Dabei beließ man es aber nicht nur bei optischen Retuschen, sondern modifizierte auch unter dem Blech einiges.
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Äußerlich blickt der GT nun auch durch die neuen LED-Scheinwerfer in die Welt, die mit ihrer gewagten Form die Front ein wenig zerklüften. Laut Kia entspricht das einem "Tiger-Gesicht". Die "Star Map"- Tagfahrlichter sollen an Sternenbilder angelehnt sein. Ganz schön viel Poesie, aber festzuhalten ist, dass der Kia von vorn schon sehr aggressiv und dynamisch ausschaut.
Die Flanke und das immer noch messerscharf geschnittene Heck wurden ebenfalls behutsam modifiziert. Geblieben sind die auffälligen, neonfarbigen Bremssättel, die in den großen 21-Zoll-Rädern leuchten. Neue Farben - unter anderen das schöne Yacht Blau Matt - vervollständigen die optischen Feinarbeiten.
Innen tat sich im neuen EV6 GT deutlich mehr. Die tollen Sportsitze sind nun serienmäßig belüftet und elektrisch verstellbar. Sie sind recht eng geschnitten und bieten einen sehr guten Seitenhalt. Leider sind die Sitzwangen nicht in der Weite verstellbar, was breiteren Piloten eventuell Probleme bereiten könnte. Zudem sind die Sitze nach wie vor sehr hoch montiert, sodass man sich nicht perfekt ins Fahrzeug integriert fühlt.
Das neue Lenkrad mit sportlicher Mittelmarkierung darf nun - der allgemeinen Mode entsprechend - auch nicht mehr rund sein und bekam oben und unten Abflachungen verpasst. Ist nicht schlimm, sieht nur immer wieder seltsam aus und beim Durchrutschlassen durch die Hände bei Zurücklenken hubbelt es ordentlich in den Handflächen. Dafür ist es nun elektrisch verstellbar. Positiv: Das neue Lenkrad verfügt nun über eine kapazitive Handerkennung. Man muss also nicht mehr am Lenkrad zupfen, um seine Anwesenheit zu signalisieren.
Durch das Lenkrad blickt man auf ein neu gestaltetes, fahrerzentriertes Panoramadisplay mit nun zwei nahtlos verbundenen Monitoren, dessen Grafiken messerscharf und übersichtlich sind. Darauf lässt sich nun das neue ccNC-Navi abbilden, das wie das gesamte Infotainment auf dem letzten Stand ist und sich nach kurzer Eingewöhnung recht gut bedienen lässt. Auch die Ladeplanung wurde nochmals verfeinert.
Ebenfalls verändert - auf vielfachen Kundenwunsch - wurden einige Oberflächen. So verzichtet Kia nun weitgehend auf den für Fingerabdrücke empfindlichen Klavierlack und verwendet stattdessen hochwertige strukturierte Materialien. Fingerabdrücke ausdrücklich erwünscht ist der kleine Fingerscanner in der Mittelkonsole, der das persönliche Fahrerprofil samt allen Einstellungen aktiviert.
Geblieben ist das sehr gute Raumgefühl. Vor allem hinten hat man sehr viel Platz für die Knie und durch den fehlenden Mitteltunnel viel Bewegungsspielraum. Man sitzt allerdings sehr hoch. Zudem ist der Boden - wie bei fast allen BEV - sehr hoch, sodass man trotz der hohen Bank mit stark angewinkelten Knien sitzt. Der Kofferraum ist wie zuvor sehr groß und gut nutzbar. Nur leider hat das Ladekabel keinen speziellen Platz und muss in einer Tasche sein Dasein als Fremdkörper im Laderaum fristen. Dort hat es in schnellen Kurven unüberhörbar so seine Probleme mit dem festen Halt ...
Wie erwähnt hat Kia beim EV6 GT die technischen Zügel nochmal angezogen. Das grundsätzliche Layout mit 800V-Technik, Allradantrieb und zwei Elektromotoren blieb gleich. Die Leistung stieg jedoch auf gewaltige 609 PS, die sich mit der neuen Launch Control sogar kurzfristig auf 650 Pferde steigern lassen. Damit beamt sich der GT in nur 3,5 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h, womit er so ziemlich jeden Sportwagen alt aussehen lässt. Erst bei 260 km/h ist dann Feierabend.
In der Praxis fühlt sich das in den zahmen Modi noch ziemlich geschmeidig, aber nicht brutal an. Aber im Sportmodus oder erst recht nach Drücken der grellgrünen GT-Taste kommt tatsächlich der ersehnte und trotzdem gefürchtete Tritt in den Hintern. Der Schub will dann schier nicht enden, was vor allem auf Autobahnauffahrten für lange Gesichter der anderen Verkehrsteilnehmer sorgt.
Aber auch abseits der reinen Leistung feilte Kia an der Technik. Die auf 84 kWh gewachsene Batterie ermöglicht noch mehr Reichweite (450 km statt 424 nach WLTP) und mit nun 258 kW maximaler Ladeleistung (statt 24 kW zuvor) dauern die Pausen nun auch ein klein wenig kürzer. Von 10 auf 80 % SoC geht es in 18 Minuten, das reicht gerade so für einen Espresso.
Wir hatten das große Vergnügen, den EV6 GT nicht nur auf der Straße, sondern auch auf einem abgesperrten Handlingkurs genießen zu dürfen. Und genießen ist nicht übertrieben, denn der doch sehr schwere GT bietet trotzdem selbst auf engen Kurven eine Menge Fahrspaß. Die neu abgeschmeckte Lenkung ist in allen Modi sehr straff geraten, was dank der guten Rückmeldung und er Präzision beim schnellen Kurvenräubern sehr hilft, aber im Alltag doch nicht mal eben so aus dem Handgelenk zu machen ist.
Im Sportmodus ist das ebenfalls neu abgestimmte adaptive Fahrwerk schön straff, erlaubt aber noch genügend Bewegung im System. Einziger Wehrmutstropfen ist das doch recht rigide ESP, was auch im Sportmodus die Leistung gnadenlos beschneidet, sobald ein Anflug von Seitwärtsbewegung spürbar ist. Und diese kommt unausweichlich, denn auch der EV6 stehen die Grenzen der Physik, die ihm sein hohes Gewicht stellt, irgendwann im Weg herum. Wenn man aber einen Tick unterhalb dieser Grenzen bleibt, macht das Ding schon wirklich Spaß.
Nur für Fortgeschrittene: Die GT-Taste. Hier wird der EV6 so scharf und aggressiv, dass die Kia-Verantwortliche selbst offenbar Angst bekamen und uns ausdrücklich vor dessen Benutzung warnten. Auf dem Driftkurs (ja, einen Driftmode hat der GT auch) wurde auch schnell klar, woher dieser Respekt rührt. Mit abgeschalteten Hilfssystemen zeigt der EV6 GT sein wahres Gesicht, reagiert extrem scharf und lässt sich, einmal ausgebrochen, nur schwer bis gar nicht wieder einfangen. Wenn man die Herausforderung annimmt, macht das natürlich extrem Laune.
Für den Spieltrieb im Alltag verfügt nun auch der EV6 GT über das aus dem Hyundai Ioniq 5 N bekannte und gefeierte simulierte Schaltgetriebe. Hier wird nicht nur ein synthetischer Motorsound eingespielt, sondern man kann die "Gänge" mittels Schaltwippen wechseln und spürt sogar entsprechende Rucke im Fahrzeug. Das Ganze fühlt sich extrem authentisch an, sodass man schnell vergisst, dass es sich um eine Simulation handelt.
Sogar das Abregeln im "Drehzahlbegrenzer" wird äußert realistisch eingespielt und haut einen in die Gurte, dass man Angst um die teure Technik bekommt. Nur der Sound klingt doch sehr nach billiger Spielkonsole.
Aber auch auf der Straße macht der EV6 GT seinem Ruf als Reiselimousine alle Ehre. Ein verfeinerter Abstandsregelautomat und die verbesserte Spurkontrolle machen die Fahrt auf der Autobahn komfortabel, die wirklich erstklassige automatische Rekuperation schließt dort nahtlos an und das neue Premiumsoundsystem sorgt für passende musikalische Untermalung.
Mit bis zu 1,8 Tonnen dürfen sogar recht amtliche Anhänger an den Haken. So lässt es sich reisen! Ach so, autonom einparken, auch quer, kann der EV6 nun auch, selbst von außen per Schlüssel. Angesichts der beträchtlichen Außenmaße auch nicht ganz unwichtig.
Billig ist der ganze Spaß natürlich nach wie vor nicht. Aber billiger! Trotz deutlich verbesserter Ausstattung, stärkerer Performance und der ganzen verbesserten Features kostet der EV6 GT nun sogar 3.000 Euro weniger als zuvor. Mit 69.900 Euro liegt er nun haarscharf unter der 70K-Schallmauer, die noch vor kurzen entscheidend für die Gewährung von Steuervorteilen für Dienstwagen war. Bekanntlich wurde diese Grenze nun auf 95.000 Euro angehoben. Da kommt der Kia EV6 GT selbst mit allen denkbaren Extras im Leben nicht hin.
Konkurrenten gibt es zahlreich. Zuvorderst natürlich die BEV-Ikone Tesla Model Y Performance, der sich seinen (mittlerweile deutlich erkalteten) Kultstatus mit 68.500 Euro bezahlen lässt. Kias Technik-Bruder Hyundai Ioniq 5 N kostet mit fast 75.000 Euro schon deutlich mehr. Ähnlich teuer und ebenfalls auf derselben technischen Plattform basierend ist der Genesis GV 60, der aber nur 490 PS mitbringt. Ein BMW i4 M50x mit 544 PS kostet auch mindestens 72.000 Euro.
Kia hat an genau den richtigen Stellschrauben gedreht, um den EV6 GT noch performanter zu machen, ohne seinen Charakter zu stark zu ändern. Auch wenn einige seiner kleinen Schwächen blieben, ist das geliftete Modell ein grandioser Spaßbringer mit gleichzeitig hohem Alltagsnutzen. Wer mit seiner extrovertierten Optik klarkommt, erhält eines der besten BEV auf dem derzeitigen Markt, der zwar teuer, aber sein Geld wert ist.